Texte zum Download & Nachlesen von Landesbischof Dr. Karl-Hinrich Manzke

2022

„Warum noch Ökumene? Die Suche nach Einheit in postkonfessioneller Zeit“
Impuls für das Podium
beim Katholikentag in Stuttgart am Freitag, den 27. Mai 2022 von 16.30 Uhr bis 18.00 Uhr

I. Die Frage und ihre Bedeutung: 

Wer fragt so? – „Warum noch Ökumene?“ auf einem Katholikentag? Zunächst fragen gegenwärtig sicherlich besorgte Ökumenikerinnen und Ökumeniker. Menschen also, denen die Ökumene ein Herzensanliegen ist. Denn einige Entwicklungen und Projekte im nationalen und internationalen christlich-ökumenischen Dialog sind ins Stocken geraten. Dann fragen oder besser fordern mit diesen Worten diejenigen, die wollen, dass die Kirchen in der bundesrepublikanischen Gesellschaft wieder und auch künftig eine ernst zu nehmende Rolle spielen. Sie fordern die Kirchen dazu auf, sich nicht nur oder allzu sehr mit sich selbst zu beschäftigen, mit ihrer Vergangenheit und ihren Selbstbildern. Sondern sie sollen konsequent eine dienende Aufgabe in unserer Gesellschaft wahrnehmen. Diese Stimmen fragen eher nicht: „Warum noch Ökumene?“, sondern sie fordern die Kirchen dazu auf, endlich aus einer gewissen Wehleidigkeit herauszukommen, ihre Fehler einzugestehen und zu bearbeiten und zur Sache zurückzufinden. Was ist die Sache? Nicht die Menschen zu belehren, sondern sie zu unterstützen. In ihren Arbeits-, Lebens- und Berufsfeldern. Und bisweilen fragen in der Diktion der Ausgangsfrage diejenigen in den Kirchen, die sich selbst genug sind und die ein festzementiertes und negatives Bild über die ökumenischen Partner haben und auch meinen, dieses ungebrochen transportieren zu müssen, zugleich mit einem entsprechend hohen Selbstbild, sie selbst seien die eigentliche und wahre Kirche. 

Durch den Veranstalter bin ich gebeten, nicht nur diese akzentuierte Frage allein in den Blick zu nehmen. Sondern ich soll auch noch einen Impuls geben zur Rolle theologischer Lehrgespräche, zu der Frage, wer Träger und Trägerin der ökumenischen Bewegung im 21. Jahrhundert sein kann und wird und welche Wege der Ökumene zukunftsweisend sind. Erlauben Sie aber an dieser Stelle, da ich mich kurz mit der im Titel dieser Veranstaltung gestellten Frage befasse und damit, wer sie eigentlich stellt, auch noch einen Hinweis zur Motivation und zum Auftrag, hinsichtlich der Einheit der Christenheit und der ökumenischen Bewegung in der Leidenschaft nicht nachzulassen. Eines habe ich übrigens noch zu ergänzen und zu gewichten. Eine Gruppe gibt es, die noch so fragt – wie der Titel der heutigen Veranstaltung es ausdrückt. Die in der Kirche von ihr Enttäuschten! Die vielen Familien in konfessionsverbindender Zusammensetzung - es sind Millionen in unserem Land - die von ihren Kirchen und deren Leitungen viel früher und viel entschiedener erwartet hätten, dass sie entsprechend der Bitte von Papst Johannes Paul II und insbesondere auch von Papst Franziskus viel früher die pastoralen Möglichkeiten konsequent entwickelt hätten, die Trennung am Tisch des Herrn und damit an dem Ort, an dem die Einheit im Glauben der Christenmenschen sichtbar dargestellt wird und Ausdruck findet, endlich zu überwinden. Warum noch Ökumene? Diese Frage, so gestellt, meint dann: Warum sollen wir uns überhaupt noch mit den Kirchen und deren Leitungsebenen befassen? Die sind doch mehr oder weniger nur noch an ihrer Selbsterhaltung interessiert, wie es der damalige Bundestagspräsident 2017 auf einer ökumenischen Veranstaltung in Bochum anlässlich des Reformationsjubiläums pointiert und provozierend ausgedrückt hat. Die Lehrfragen sind weit vorangebracht – was jetzt die Kirchen noch trennt und daran hindert, viel näher zusammenzurücken und sich gemeinsam anzuerkennen und pastorale Möglichkeiten zu nutzen, seien Eitelkeiten und institutionelle Selbstbeharrung. 

Die Einheit der Christen mit großer Leidenschaft zu erstreben und ökumenisch zu denken und zu handeln, ist aus dem Neuen Testament und der Geschichte der Kirchen geboten. Aus unserer eigenen Tradition. Im Johannesevangelium ist der Wille unseres Herrn selbst dokumentiert: „Ich bitte aber nicht allein für sie (er meint seine ihm nachfolgende Jüngerschaft), sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, dass sie alle eins seien.“ (Joh. 17, 20). Weil dadurch der Glaube in der Welt glaubhaft unterstrichen wird, dass Christus und der Vater eins sind. Durch die Uneinigkeit der Christusgläubigen wird dieser Glaube zumindestens geschmälert oder geschwächt. Jüngst hat Martin Heckel in einem wichtigen ökumenischen Beitrag festgehalten, dass gerade nach dem Johannesevangelium die Einheit am Tisch des Herrn schon durch die Taufe geboten und empfohlen ist. 

Im Epheserbrief wird in der großen paulinischen Tradition festgestellt und festgehalten, dass die christliche Gemeinde - und hier ist immer der Plural zu denken - und ihr Glaube, der sich von Beginn der Christenheit an in Vielfalt zeigt, die Einigkeit im Geist freisetzt und verlangt. Die an Christus Glaubenden sind ein Leib, ein Geist und in einer Hoffnung berufen. Das vergewissert die eine Taufe (Epheser 4). Ebenfalls hat das Zweite Vatikanische Konzil in „Gaudium et Spes“ und in der Ökumenekonstitution („Unitatis redintegratio“) den Bezug auf die Einheit der Christenheit als entscheidende Aufgabe für die Zukunft, auch aus Sicht der römisch-katholischen Kirche, beschrieben. Und auch in der lutherischen Tradition, die mir am Herzen liegt, ist der Bezug auf die Einheit der Christenheit konstitutives Element des Bekenntnisses. Insofern muss die Frage ‚Warum noch Ökumene?‘ so beantwortet werden: Wenn die Verantwortlichen der Kirchen sich auf das Neue Testament beziehen, was unterstellt werden sollte, auf die je eigene Tradition und ihr Bekenntnis sind sie verpflichtet, nicht zu ruhen, bis sie die sichtbare Einheit erreicht haben und so dem Zeugnis ihres Herrn, auf den sie sich zu beziehen behaupten, entsprechen. 

II. Welche Rolle werden bilaterale theologische Gespräche weiterhin spielen? 

Es ist ein wenig modern geworden, davon zu sprechen, dass die ökumenischen und insbesondere die bilateralen Dialoge, z.B. zwischen dem weltweit sich sammelnden Luthertum (Lutherischer Weltbund) und dem Einheitsrat in Rom, keine wirklichen Fortschritte zeigen. Die Mühe müsse man sich nicht weiter machen. Tausende von Seiten sind beschrieben – es ist alles gesagt. Folgen?: Fehlanzeige. So hört man bisweilen. 

Man wird sagen müssen, dass die Anstrengung des Begriffs, sehr genau in den Blick zu nehmen, was wirklich trennt und wo Verdächtigungen und Befürchtungen sitzen, nicht vermieden werden darf! Anfang der 80-iger Jahre des 20. Jahrhunderts gab es ein großartiges Projekt, als der renommierte Theologische Arbeitskreis ökumenischer Theologinnen und Theologen in Deutschland – auch mit dem Einverständnis aus Rom – den Auftrag bekam, zu ergründen, ob die Verwerfungssätze aus dem 16. Jahrhundert, in denen das römisch-katholische und das evangelische Bekenntnis sich gegenseitig verdammt haben und bescheinigt haben, völlig auf dem Holzweg zu sein, damals, also im 16. Jahrhundert, und noch heute Bestand hatte bzw. hat. Die Anstrengung des Begriffs hat sich, was z.B. dieses Projekt betrifft, sehr gelohnt. Weil damals nämlich unter der Leitung von WolfhartPannenberg und Karl Lehmann festgestellt wurde, dass die Urteile aus dem 16. Jahrhundert nur mit wenigen Ausnahmen den beschriebenen Partner und dessen Positionen wirklich zutreffend und richtig beschrieben haben. Geschweige denn, dass die Verwerfungssätze des 16. Jahrhunderts heute überhaupt noch die tatsächlichen Positionen des jeweiligen ökumenischen Partners treffen. 

Gewiss, der evangelische und katholische Glaube haben unterschiedliche Wege genommen und sind spirituell und in der Gewichtung einzelner Glaubensaussagen unterschiedlich. Aber eine kirchentrennende Bedeutung haben die Unterschiede weder damals gehabt noch haben sie sie heute. Sondern, es sind und waren andere Faktoren, die zur Trennung der Kirche geführt haben als die theologischen Lehrsätze. Vertreter in Kirchenleitungen, die behaupten, diese theologischen Lehrsätze seien bis heute der Grund für die Kirchentrennung, sind auf dem Holzweg. Insofern sind bilaterale theologische Gesprächssituationen und Vorhaben - national wie international - nach wie vor wichtig und den Schweiß der Edlen wert. Insbesondere in der Frage von Amt und Kirchenverständnis. Beide Fragen haben Auswirkung auf den entscheidenden Ort der sichtbaren Einheit der Christenmenschen, die Gemeinschaft im Abendmahl bzw. am Tisch des Herrn. 

III. Wer wird Träger der ökumenischen Bewegung im 21. Jahrhundert sein? – Was ist zukunftsweisend?
Ich setze als Protestant auf die Laien. Auch in dieser Frage ist es üblich und schick geworden, die Laienbewegungen zu loben und die Amtsträger zu schelten. Das Schema alleine wird sicherlich nicht hinreichend sein; solche Urteile sind zu vereinfachend und unfair. Aber ich habe durch meinen Weg und die intensiven Begegnungen und Erfahrungen innerhalb der römisch-katholischen Kirche insbesondere eine enorme Hochachtung vor der Laienbewegung gewonnen; ebenso vor den großartigen Orden und den Gemeinschaften. Die leben und arbeiten oft in großer Hingabe christliche Nächstenliebe und engagierte Theologie und haben eine große ökumenische Kraft. Meine Zeit bei den Jesuiten in Rom ist unvergessen in dieser Hinsicht. Deswegen plädiere ich vielmehr für einen faktischen und klaren Austausch und Besuchsdienst zwischen den Orden, den geistlichen Gemeinschaften, den Laienbewegungen. Mit Papst Franziskus setze ich darauf, dass die Fragen, vor denen wir stehen als christliche Kirchen, uns in die Gesellschaft z.B. in Deutschland einzubringen, viel gewichtiger sind als die Selbstbeharrungskräfte. Welche Wege der Ökumene sind zukunftsweisend? Ich will es am Beispiel eines meiner Arbeitsgebiete deutlich machen. Ich bin überzeugter Anhänger eines öffentlichen Protestantismus; dessen Programm unterscheidet sich deutlich von dem einer sogenannten öffentlichen Theologie. Eine evangelischen Kirche steht mir vor Augen, die ihre dienende Aufgabe in der Gesellschaft einbringt, sich nicht frühzeitig positioniert in komplexen gesellschaftlichen Fragen, nicht Empörungshaltungen vor sich herträgt, sondern die die sehr komplexen Fragen des Alltags wahrnimmt und Menschen dabei unterstützt, die in schweren Spannungsverhältnissen, die es auch in unserer Gesellschaft gibt, produktiv handeln müssen. 

Ich unterstütze die Bundespolizei im Rahmen eines Staatskirchenvertrages, stellvertretend für den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland. Eine Fülle gesellschaftlicher Spannungen in Sicherheitsfragen und in Fragen von Recht und Gerechtigkeit tragen durch ihre Aufgabenstellung Polizistinnen und Polizisten in unserem Land. Sie dabei im berufsethischen Unterricht, in Kursen, in Team-Begleitungen und seelsorgerlich vertrauensvoll zu unterstützen und zu begleiten, ist eine vornehme und hervorragende Aufgabe für die Kirchen. Die können wir gegenwärtig und zukünftig nur in großer ökumenischer Entschiedenheit wahrnehmen – bis dahin, dass wir uns konsequent in allen Angelegenheiten vertreten. Der gesunde Menschenverstand sagt uns an dieser Stelle, wenn wir nicht schon auf die Lehre unserer Kirche und auf die Heilige Schrift hören, dass die Kirchen entschlossen zusammenarbeiten müssen um der Menschen willen. 

Polizistinnen und Polizisten z.B. im Frontex-Einsatz, wo es um Recht und Gerechtigkeit und die Wahrung des Asylrechtes und der Menschenrechte zugleich geht – also um gleichrangige Güter – zu unterstützen, ist eine großartige und wichtige gesellschaftliche Aufgabe der Kirchen. Dieses nur als Beispiel. In vielen anderen Fragen könnte ich es ähnlich beschreiben – vom Religionsunterricht bis zur Seelsorge in Justizvollzugsanstalten und der Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen. Personell und finanziell werden die Kirchen diese gesellschaftliche Aufgabe, für die ich leidenschaftlich kämpfe, nur wahrnehmen können, wenn sie personell und finanziell viel entschlossener zusammenarbeiten. Auch in gottesdienstlichen Fragen, nicht nur in Fragen der Seelsorge. Was ist denn die Alternative zu einem entschlossenen ökumenischen Miteinander der Kirchen in Kontexten und Bereichen des öffentlichen Lebens? Dass wir uns auf unseren jeweiligen Altarbereich in unseren wohlrenovierten Kirchen zurückziehen und uns dort unserer Rechtgläubigkeit vergewissern. Gott bewahre uns vor einer solchen Entwicklung der Kirchen in Deutschland. 

Dr. Karl-Hinrich Manzke,
Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schaumburg-Lippe und Catholica-Beauftragter der VELKD 


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